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     2010
NIEOBECNE/ABWESENDE.
Tanz Musik Theater

     2008 DER PROZESS – Tanz Literatur Theater nach einer Lektüre des gleichnamigen Romans von Franz Kafka


2006 ORPHEUS –
ErinnerungVergessen. Ausstellung – Vortrag – Tanz Musik Theater

2005 AUF SIEBENSTERNENSCHUHEN -
Gedichte von Else Lasker-Schüler. Lesung Musik Tanz

2004 THE MAIDEN AND DEATH.
Tanz Literatur Theater

2003 LABYRINTHOS.
Tanz Literatur Theater

2000 ZWEI IN EINEM -
Lieder von Liebe, Tod und Liebe

2000 DIE SAGA VON GRETTIR -
Tanz Literatur Theater nach der isländischen Grettis saga

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Polnischer Abend mit Bettina Rutsch 

Das war Zufall, dass der "polnische" Abend der vielfach bewährten Duisburger Tänzerin und
Literaturwissenschaftlerin Bettina Rutsch in die Woche der polnischen Staatstrauer fiel. Ihr neuestes
"Tanz Musik Theater" mit dem zweisprachigen Titel "Nieobecne/Abwesende" ging von polnischer Lyrik aus,
nicht nur aus der Feder der Literatur‑Nobelpreisträgerin Wis
ława Szymborska.
Seit 1994 entwickelt Bettina Rutsch ihre Produktionen, und wer ihre Entwicklung verfolgt hat
(die RP berichtete), der staunte über eine Aufführung, die trotz der oft rätselhaften Texte kaum noch
hermetisch ist, deren poetische Klarheit aber nicht weiterer Worte bedarf, um verstanden zu werden.
Da kommen die Darstellung, die Musik und nicht zuletzt der Tanz ins Spiel. Überflüssig zu betonen,
dass diese Tänzerin längst eine eigene und unverwechselbare Synthese verschiedener Tanzstile von
Ballett bis Butoh entwickelt hat.
Ein Höhepunkt ist es, wenn Rutsch rezitierend und tanzend als "Der siebte Engel" von Zbigniew Herbert
auftritt, "schwarz und nervös", mit einem Flügel. Das muss man erlebt haben! Überhaupt die sprechenden
Kostüme, außerdem die kuriosen Requisiten wie ein Vogelkäfig und ein Umzugskarton, dem allerlei skurrile
Gegenstände entnommen werden wie ein Stoffleguan, der auch mal mittanzen darf. Nicht zu vergessen
die großartigen Mitstreiter: der Duisburger Kontrabassist Guido Bleckmann, der hochprofessionelle
Lichtdesigner Dominyk Salenga, der Pianist und Gitarrist Arne Wiegand und nicht zuletzt die phänomenale,
seit 14 Jahren in Duisburg lebende polnische Chansonsängerin Jola(nta) Wolters.

RHEINISCHE POST Duisburg, 20. April 2010


Die ständige Suche nach Halt

"Nieobecne, Abwesende" vereint Polnisches und Deutsches, Tanz, Musik und Theater

Gesungene Poesie und zeitgenössischer Tanz gingen am Samstag eine Liaison im Stadttheater ein.
Bettina Rutsch zeigte der Öffentlichkeit ihr jüngstes Projekt Nieobecne/Abwesende. Inspiriert vom Gedicht
"Labyrinth" der polnischen Nobelpreisträgerin Wis
ława Szymborska arbeitete die Duisburger Choreographin
und Literaturwissenschaftlerin mit der polnisch-deutschen Chansonsängerin Jola Wolters an einem lyrischen
Tanztheaterstück, das die Machtlosigkeit und Orientierungslosigkeit sowie die ständige Suche nach Halt
und Heimat des modernen Menschen beleuchtete und ganz nebenbei auch noch einen Beitrag zum
Chopin‑Jubiläum lieferte. "Wir haben zwei Walzer von Frédéric Chopin mit drin" erklärte Bettina Rutsch den
zufälligen Zusammenhang.
Auch die gezielte Wahl der polnischen Texte und Lieder kann man als gelungenen Beitrag zum
Kulturhauptstadtjahr verstehen. Mit der Auswahl wollte man den Menschen hier die polnische Kultur näher
bringen: "Viele Menschen im Ruhrgebiet haben polnische Wurzeln und wissen nur wenig darüber."
Außerdem diene das deutsch-­polnische Kunstprojekt als kreative Auseinandersetzung mit dem direkten
Nachbarn. "Die Begegnung mit Jolanta Wolters und der gemeinsame Wunsch, ein Projekt zusammen zu machen,
ließ mich auf die Texte stoßen" erinnerte sich Bettina Rutsch .
Konsequent wurden die Lieder nur im Programmheft übersetzt, gesungen wurden sie im Original, mit der
kräftigen, raumgreifenden, wunderschönen Stimme von Jola Wolters. Im Wechselspiel erfolgten die
Tanzsequenzen, mit intensiver, aber sehr abstrakter Körpersprache im Stile des Ausdruckstanzes. Nicht alles
erschloss sich da auf Anhieb.
Jolanta Wolters lebt seit 14 Jahren in Duisburg. In Polen widmete sie sich schon früh ihrer Gesangskarriere,
arbeitete mit bekannten Künstlern zusammen und gilt heute als eine der bekanntesten polnischstämmigen
Chansonsängerinnen in Nordrhein‑Westfalen. Sie singt auf Deutsch und auf Polnisch und kann als moderne
Europäerin und Botschafterin der Kulturen verstanden werden.
Auch Bettina Rutsch kann als Botschafterin der Künste betrachtet werden. In ihrem künstlerischen Schaffen
stellt sie harmonische Verbindungen zwischen Literatur, Musik und Bewegung her. Ihre Choreographien
wandeln gesprochene Worte in fließende Bewegungen des Körpers.

Im vergangenen Herbst fingen die beiden Künstlerinnen mit der Recherche und der Gestaltung des Stücks an.
Im Dezember schließlich stand das feste Gerüst.
Seitdem wurden Details herausgearbeitet und fanden intensive
Proben mit den Musikern Guido Bleckmann (Kontrabass, Percussion), und Arne Wiegand (Piano, Gitarre) sowie
mit dem Lichtdesigner Dominyk Salenga statt
.

WESTDEUTSCHE ALLGEMEINE ZEITUNG Duisburg, 19. April 2010

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Tanz im  Schwurgerichtssaal 

Die Duisburger Literaturwissenschaftlerin und Tänzerin Bettina Rutsch zeigte im Duisburger
Landgericht eine
beeindruckende
choreografische Interpretation nach Franz Kafkas "Der Prozess".

Die Zuschauerbänke des großen Schwurgerichtssaals im Duisburger Landgericht waren voll besetzt, als Josef K.
der Prozess gemacht wurde, nur weil jemand ihn verleumdet hatte. ‑ Mit solchen Worten könnte man den
ungewöhnlichen Abend mit der Tänzerin und Literaturwissenschaftlerin Bettina Rutsch beschreiben.
Die kreative Duisburgerin überschrieb ihre Performance selber durchaus präzise mit: "Der Prozess ‑ Tanz,
Literatur, Theater nach einer Lektüre des gleichnamigen Romans von Franz Kafka." Bettina Rutsch ließ sich von
Kafkas Romanfragment zu einer darstellenden Interpretation inspirieren, deren Dramaturgie offen für
verschiedene Genres war. Mal per Tonband, mal live wurden Passagen aus dem "Prozess" oder aus Kafkas
Tagebüchern zitiert, wobei die Tagebuchzitate mit kratzenden Schreibgeräuschen unterlegt wurden.
Körpersprachlich deutete Bettina Rutsch die mal schüchternen, mal energischen Verteidigungsversuche des
Angeklagten Josef K., der sich zu entwinden sucht, sich dabei aber immer stärker in ein Verfahren verstrickt,
dessen Struktur auf Verstrickung hin angelegt ist.
Feinfühlig deutete sie durch Gestik, Mimik, Haltung sowie dynamische und bisweilen auch verzögernde
choreografische Elemente die aufkeimende und dann wieder schwindende Hoffnung des "Angeklagten" an.
Die Bewegungsmuster wirkten auch deshalb besonders eindrucksvoll, weil der Schauplatz der künstlerischen
Darbietung kein künstlicher, sondern ein wirklicher Schwurgerichtssaal war. Bettina Rutsch nutzte als Bühne
zusammengestellte Gerichtstische, stieg auf die Stühle, wo sonst Richter, Staatsanwalt, Verteidiger und
Angeklagte sitzen. Bisweilen verließ sie die Rolle des Josef K., des Protagonisten aus Kafkas Romanfragment,
spielte eine verhärmte Putzfrau, die das Mobiliar zu reinigen sucht. Einmal zitierte Bettina Rutsch, die
Kafka‑Vorlage ausbauend, die berühmten Verse des verzweifelten Gretchens aus Goethes Faust ("Meine Ruh' ist
hin / Mein Herz ist schwer / Ich finde sie nimmer / Und nimmermehr"). Großes Lob gebührt auch der Musik.
Thorsten Töpp und Guido Bleckmann sorgten für atmosphärisch überzeugende Klänge. Und die jiddischen Lieder
und Stücke aus der Klezmer-Tradition passten vorzüglich zu den Texten Kafkas, der sich in den letzten Jahren
seines kurzen Lebens mit dem Ostjudentum beschäftigt hatte.
Gelungen war dieser ungewöhnliche und vielschichtige Kafka-Abend, der am bestmöglichen Ort stattfand,
nicht zuletzt deshalb, weil er sowohl die Kafka-­Kenner als auch die unvorbereiteten Zuschauer ansprach, die
den "Prozess" vom Hören‑Sagen kannten.

Schön, dass man im Duisburger Landgericht so offen für Kulturveranstaltungen ist.

RHEINISCHE POST Duisburg, 29. Oktober 2008

Wenn Kafka zum Tanz bittet

Bettina Rutsch inszenierte im Landgericht das Roman‑Fragment "Der Prozess"

Kafka ist schwere Kost. Generationen von Literaturwissenschaftlern, Lehrern, Schülern haben sich in unzähligen
Deutungsmöglichkeiten der gleichnishaften Literatur des Prager Autors versucht. Eine ganz neue Möglichkeit
der Interpretation präsentierte die Tänzerin und Literaturwissenschaftlerin Bettina Rutsch jetzt im Landgericht.
Ungewöhnliche Aufführungsorte kennt das Publikum seit Jahren. Doch diesmal diente der Ort nicht als
Marketingmittel, sondern war Bestandteil des Stückes. Bettina Rutsch inszenierte Franz Kafkas Romanfragment
"Der Prozess" im altehrwürdigen Schwurgerichtssaal als Tanztheater. Zum Inhalt: Josef K. wird kurz vor seinem
30. Geburtstag verhaftet. Warum, das wird auch in dem sich über Jahre erstreckenden Prozess nicht deutlich.
Am Ende steht die brutale Exekution Josef Ks.
Die Inszenierung im Landgericht machte die dunkle und
bedrückende Atmosphäre des "Prozesses" fühlbar. Auch für die Zuschauer, die auf den harten Holzbänken als
Prozessbeobachter den Albtraum des K. mitverfolgen konnten ‑ und mussten, denn ein vorzeitiges Verlassen
des Saales wäre nur in Begleitung eines Justizbeamten möglich gewesen. Die Unausweichlichkeit der Situation,
mit der sich K. konfrontiert sah, fand ihre spiegelbildliche Entsprechung im begrenzten Raum, der Bettina Rutsch
für ihre tänzerische Darbietung zur Verfügung stand: wenige zusammengeschobene Tische, an denen sonst
Staatsanwälte und Verteidiger Platz nehmen. Abrupte Bewegungen, Drehungen, Sprünge, immer wieder
Bodenfiguren, schnell wechselnde Tempi ‑ die Choreographie übersetzte die Zerrissenheit der gequälten Psyche
des K. in Bewegungen ‑ zur eigens für das Stück komponierten Musik von Thorsten Töpp, die das böse Ende
erahnen ließ. Dazu passend die Melancholie der jiddischen Lieder, die Bettina Rutsch darbot. Zur Orientierung
dienten Rezitationen aus dem Romanfragment und aus Tagebuchaufzeichnungen Franz Kafkas.
Der wäre von der Inszenierung sicher begeistert gewesen, brachte sie doch eindrucksvoll mittels einer Collage
aus Tanz, Musik und Literatur zutage, dass es letztlich Josef K. selbst ist, der sich immer tiefer in sein Unglück
hineinwindet.

WESTDEUTSCHE ALLGEMEINE ZEITUNG Duisburg, 28. Oktober 2008

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Mehr als getanzte Psychoanalyse 

Wieder einmal haben wir von einer anspruchsvollen "Tanz Literatur Theater"‑Produktion der Duisburger
Tänzerin und Choreografin Bettina Rutsch zu berichten. "Orpheus ‑ ErinnerungVergessen", ihr
"Tanz Musik Theater nach Motiven aus Claudio Monteverdis L'Orfeo", hatte jetzt Premiere in der Duisserner
Lutherkirche.
Dieser wunderbare Raum, ergänzt durch Kunstwerke von Edith Kreth‑Finkeissen (Collagen und Objekte) sowie
Angelika Stienecke (Malerei und Objekte), spielte quasi mit durch seine Innenarchitektur und durch das
Lichtdesign (Dominyk Salenga).
Es geht, frei nach der 400 Jahre jungen, ersten großen Oper der Musiktheatergeschichte, um das Wesen von
Musik und Tanz, um Mythos und Seele, um Erinnerung als ‑ nach Erich Fried – "die qualvollste Art / des
Vergessens / und vielleicht / die freundlichste Art / der Linderung / dieser Qual". Es geht um die
psychotherapeutische Grundthese, unsere frühkindlichen Seelenverletzungen könnten durch Rückschau geheilt
werden ‑ so wie Orpheus seine Eurydike endgültig an die Unterwelt verlor, weil er sich nach ihr umschaute,
und dadurch erst zum ganzen Menschen wurde.

Bettina Rutsch als Tänzerin, Simone Dors als Schauspielerin, Hartmut Kracht als Jazz‑Bassist und Uwe Maibaum
als improvisierender Organist stehen hier im Vordergrund. Freilich sind die Rollen nicht so eindeutig verteilt;
während das Grundgerüst des Abends aus dem übersetzten und gesprochenen "Orfeo"‑Libretto von Alessandro
Striggio d.J. besteht, wirken die wenigen (und gut) gesungenen Passagen umso eindrucksvoller, etwa wenn
die Schauspielerin plötzlich eine originale Zeile der Messagera/Botin anstimmt, die dem Orfeo/Orpheus den
(ersten) Tod seiner Frau verkündet, oder wenn Salvatorkantor Maibaum sich mit volltönender Bass‑Stimme
kurzzeitig in den dämonischen Fährmann Caronte/Charon beziehungsweise Herrn der Unterwelt Pluto/ne
verwandelt.
Dem mit Kulturgeschichte und Psychonanalyse bespickten Abend fehlt es dennoch nicht an sinnlicher
Ausstrahlung. Besonders intensiv wirken jene Szenen, in denen die "Unterwelt" durch das drastische Bild der
Schizophrenie verdeutlicht wird.

Eine Empfehlung also für die zweite Aufführung am Samstag, 11. November, ebenfalls um 19.30 Uhr in der
Lutherkirche an der Duisserner Martinstraße.

RHEINISCHE POST Duisburg, 25. Oktober 2006

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Energisch und zart: Lasker‑Schüler

Sie war eine schillernde, aber auch tragische Dichterpersönlichkeit. Else Lasker‑Schüler dichtete in einer
Welt, die in zwei großen Kriegen "entzweigegangen" war und in der es galt, zumindest eine Imagination von
der Sehnsucht "universaler Liebe" hinüberzuretten. Bei ihren Lesungen musizierte und tanzte sie nicht selten
ihre merkwürdig schwebende lyrische Intonation. Auf eben jenem Weg zu einem mikrokosmischen
Gesamtkunstwerk war die Musik‑Tanz‑Lesung, die der Heinrich von Veldeke-Kreis und die Wasserburg Rindern
zu Ehren der Dichterin in der Hauskapelle inszenierten.
Margarete Federkeil Gaitzsch (Rezitation), Ulrike Höffkes (Flöte), und Bettina Rutsch (Tanz) erwiesen sich
nicht nur als kongeniale Partnerinnen bei der akustischen und visuellen Umsetzung des Laskerschen
Textkörpers. Ihre Auswahl und Interpretation der Gedichte zeigte, dass sie sich die Dichterin zu einer guten
Freundin gemacht haben. "Auf Siebensternenschuhen" war das Programm überschrieben, das die Lyrik der
Lasker deklamierte. Margarete Federkeil Gaitzsch machte die Gedichte in einer Stimmung präsent, die
zwischen Energie und Zartheit wechselte.
Zwischen C. Ph. E. Bach, Vivaldi und Klezmer‑Improvisationen lotet Ulrike Höffkes' Querflöte das gesamte
Tonspektrum jener Empfindungen aus. Perfekt das dramaturgische Timing in den Stücken, in denen Bettina
Rutsch Anmut und Würde in der menschlichen Zerrissenheit, nicht zuletzt das lyrische Staunen über sich
selbst tänzerisch zum Ausdruck brachte. Lang anhaltender Beifall der zahlreichen Zuhörer beendete den Abend.

RHEINISCHE POST Kleve, 16. Dezember 2006

Auf Siebensternenschuhen zu Else Lasker‑Schüler

Der Markus‑Lüpertz‑Ausstellungsraum im Museum Küppersmühle drohte aus allen Nähten zu platzen. Rund 230
Zuschauer wollten die Veranstaltung zu Ehren der deutsch‑jüdischen Dichterin Else Lasker‑Schüler sehen.
Unter dem Titel "Auf Siebensternenschuhen" wurden ausgewählte Gedichte Lasker‑Schülers nicht nur rezitiert,
sondern auch musikalisch und tänzerisch interpretiert.

Das Werk der "grande dame" des Expressionismus nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, das war das Ziel
der Dinslakener Lyrikerin Margarete Federkeil Gaitzsch. Sie hatte den Abend anlässlich des 60. Todestages
der Dichterin ins Leben gerufen, zeichnete für die Auswahl der Gedichte verantwortlich und war auch
diejenige, die die großen Liebes‑ und Klagegedichte sowie die Hebräischen Balladen Else Lasker‑Schülers
rezitierte. Eine reine Lesung sollte es nicht werden. Ganz im Stile der Expressionistin, die auch als
Flötenspielerin und Tänzerin auftrat, wurde die Rezitation sowohl musikalisch als auch tänzerisch begleitet.
Die Dinslakener Flötistin Ulrike Höffkes und die Duisburger Tänzerin Bettina Rutsch sorgten für eindringliche
Eindrücke über die Texte hinaus. Und so ließen sich die Zuschauer 75 Minuten lang in den Bann der drei
Künstlerinnen ziehen. Erst ganz zum Schluss, nachdem die schwarz gekleideten Damen die Bühne bereits
verlassen hatten, durfte lange und ausgiebig applaudiert werden. Die Veranstaltung unter der
Schirmherrschaft von Oberbürgermeister Sauerland gab einen Einblick in das Werk der Dichterin, die 1869
in Elberfeld (Wuppertal) geboren wurde und 1945 in Jerusalem im Exil starb. Die Themen Liebe und Tod
durchziehen ihr Werk genauso wie ihr Leben. Dichterfreund Gottfried Benn lobte sie als die "größte Lyrikerin,
die Deutschland je hatte" und schrieb: "Ihre Themen waren vielfach jüdisch, ihre Phantasie orientalisch,
aber ihre Sprache war deutsch, ein üppiges, prunkvolles zartes Deutsch."

RHEINISCHE POST Duisburg, 9. November 2005

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Körperkult und Körperqual

Die Duisburgerin Bettina Rutsch zielte mit ihrem "Tanz Literatur Theater" mit dem Titel
"The Maiden and Death" auf die gleichberechtigte Verknüpfung dieser drei Künste ab.

Der Titel "The Maiden and Death" kehrt schon die gewohnte Reihenfolge um. Die Duisburgerin Bettina Rutsch
zielt in ihrem "Tanz Literatur Theater" (so der Untertitel) wieder einmal auf die gleichberechtigte Verknüpfung
dieser drei Künste ab. Dies ist quasi die jüngste Druckwelle von jener künstlerischen Explosion, welche Franz
Schuberts Vertonung des Matthias‑Claudius‑Gedichts "Der Tod und das Mädchen" und die Verarbeitung in
seinem gleichnamigen Streichquartett Nr. 14 d‑moll auslösten.
Natürlich geht dies auf viel ältere Mythen und Archetypen zurück. Wie Bettina Rutsch in ihrem klugen
Programmheft schreibt, geht es in "The Maiden and Death" um den weiblichen Körper als Austragungsort
der in unserer "nicht integrationsfähigen und daher gewaltbereiten Gesellschaft" nicht als "wesenhaft
zusammengehörige Pole" erkannten Gegensätze wie Leben und Tod, Weiblichkeit und Männlichkeit, Lust und
Angst, Abhängigkeit und Macht.
Dass daraus kein inszeniertes Oberseminar, sondern sehr sinnliches Theater wurde, dafür sorgten schon die
spielenden, singenden und nicht zuletzt tanzenden Darstellerinnen Mónica Delgadillo, Simone Dors, Sabine
Lindlar und Bettina Rutsch mit ihrer teils verletzlich pathetischen, teils selbstbewusst heiteren Präsenz.
Spätestens als eine Tänzerin mit Schädelmaske an der imaginären Ballettstange trainierte, wurden
Zusammenhänge von Totentanz und verdrängter gesellschaftlicher Neurose in einem blitzenden Bild fokussiert.
Den musikalischen roten Faden bildete selbstverständlich Schuberts Streichquartett (von der CD), dann meist
im Sinne des klassischen Balletts zu einem zuversichtlichen Körperkult genutzt.
Unbedingt erwähnt werden muss das Ensemble Duophonie, das sind Petra Naethbohm und Ruthilde Holzenkamp
mit ihren verblüffenden Arrangements für die bewusst "arme" Besetzung Blockflöten und Akkordeon.
Ein Höhepunkt war das Lied "Une jeune fillette'' (1576) von Jean Chardevoine, in dem sich ein zwangsweise
ins Kloster verfrachtetes Mädchen lebendig begraben fühlt. Am Ende noch einmal der Variationensatz aus
Schuberts Quartett, nun plebejisch bearbeitet. Wunderbar.

RHEINISCHE POST Duisburg, 17. November 2004


Die frühen Drangsalierungen des Körpers und der Seele

Bettina Rutsch zeigt ihr neues Tanzstück "The Maiden and Death"

Der gegenüber Claudius und Schubert umgedrehte Titel verrät, worum es geht: "The Maiden and Death".
Thema des neuen Tanzstücks der Choreographin und Tänzerin Bettina Rutsch nähert sich dem Mädchen
‑ nicht seinem realen Tod, sondern dem, was lange vorher in ihr stirbt.
Inmitten morbider Skulpturen Hildegard Brills entwerfen Mónica Delgadillo, Simone Dors, Sabine Lindlar und
Bettina Rutsch Bilderfolgen von suggestiver Kraft, die das transportieren, was Rutsch "das allgemein
menschliche Problem, einen (sterblichen) Körper zu haben und das historisch bedingte Problem, einen
weiblichen Körper zu haben" nennt. Und das ganz besondere Problem, eine Tänzerin zu sein. Mit allem, was
damit verbunden ist: den Drangsalierungen des Körpers wie der Seele.
Ob die Geborgenheit der Kinderträume früh verloren geht, ob der Mädchenkörper einem Schönheitsideal
unterworfen wird, das ohne Bulimie kaum erreichbar ist, alles ist in drastischen, intensiven Szenen entwickelt.
Und Märchen und ihre psychoanalytische Deutung haben natürlich auch ihren Platz (inklusive Zitat aus dem
Filmscript von "Die Zeit der Wölfe"). Das weite Feld von Wünschen, Ängsten und Verdrängung.
Schuberts Streichquartett "Der Tod und das Mädchen" aus der Konserve, live gespielte Klänge mit dem
Ensemble Duophonie (Petra Naethbohm, Blockflöten, Ruthilde Holzenkamp, Akkordeon), ein wie eine Axt in den
Schädel fahrender "Metallica"‑Ausbruch: Zerrissenheit - auch die Musik war da bestens im Film. Begeisterter
Applaus der zahlreichen Besucher im Theater.

WESTDEUTSCHE ALLGEMEINE ZEITUNG Duisburg, 16. November 2004

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Das Labyrinth als Irrgarten der Seele

Akzente‑Tanz von Bettina Rutsch

Die Wege zum "Ich" bleiben verschlungen. Im Rahmen der "Duisburger Akzente" stellte Bettina Rutsch ihr
Solo‑Stück "Labyrinthos" vor. Fernab jeglicher Ballett‑Klischees präsentierte sie ein außergewöhnliches
Gesamtkunstwerk aus Tanz, Textrezitation und Bühnendarstellung.
In Zusammenarbeit mit der Künstlerin Hildegard Brill erzählt Bettina Rutsch auf ungewöhnliche Art die
Geschichte des Minotaurus. Brills Bühnenbilder und Skulpturen sind mobil ins Bühnengeschehen integriert und
werden durch den sensiblen Umgang mit Licht und Schatten des Lichtdesigners Dominyk Salenga zum Leben
erweckt.
Ein neuer Zugang zur Sage der griechischen Mythologie erschließt sich dem Zuschauer, verschiedene Aspekte
der Figuren, werden thematisiert: Der Mensch mit Stierkopf nicht mehr nur als mörderisches lustvolles Vieh,
sondern auch als verstoßenes Kind, als Opfer der Liebe seiner Mutter zu einem Stier, Theseus nicht nur als
tapferer Krieger, sondern auch als eitler Torero.
Kraftvoll und kreativ füllt die Solotänzerin alle Personen mit Leben, sie ist Stier, Mutter, König, Schwester,
Stierkämpfer, Krieger und Kind und lässt das Publikum an ihrer Suche nach der eigenen Identität
teilhaben. Das architektonische Labyrinth wird zum Sinnbild des Irrgartens von Körper, Geist und Seele, von
Leidenschaften, Schuldverstrickung und Liebe. Die Auswahl der teils folkloristischen, teils modernen Texte und
Musikstücke schafft Raum für eigene Assoziationen bei stringent erzähltem Handlungsverlauf. Durch Körper,
Stimme und die brillanten Skulpturen, die Rutsch benutzt als wären es lebendige Teilnehmer, schafft die
Künstlerin Zugang zum Thema "Labyrinth" sowie zur griechischen Mythologie. Mit der Inszenierung des
archaischen Stoffes ist Bettina Rutsch eine Glanzleistung gelungen, die vom zahlreich erschienenen Publikum
honoriert wurde. 

WESTDEUTSCHE ALLGEMEINE ZEITUNG Duisburg, 13. Mai 2003

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Gesang, Spiel und Tanz: Ein faszinierender Abend in der Küppersmühle

Wie Musik die Künste lenkt

Quer zur Stadt, am Innenhafen, gehen Leute spazieren. Der Weg belebt die freie Abbruchfläche des Parks;
das Weiß der Abbruchreste verschmilzt mit der Farbe der Dämmerung. Es ist schwül, später wird es regnen.
Zu einem Konzert- oder Tanz- oder Theaterabend in der Küppersmühle zieht es gut 150 Besucher; wie der
Abend zu nennen wäre, bleibt offen.
Zwei Künstlerinnen und ein Künstler treten auf: der Countertenor Thomas Bremser, die Musikerin Britta
Wodarczak und die Tänzerin Bettina Rutsch. Gemeinsam und je für sich überspielen sie die Grenzen ihrer
Künste. Ein tänzerischer Höhepunkt ist so das isländische Lied, in dem Bettina Rutsch ihre Stimme vom Zwang
zur Bedeutung frei werden lässt. Und ein opernhaftes Raumerlebnis schafft Thomas Bremser, als er beim
Vortrag einer Händel-Arie den Raum verlässt und damit einen Bühnenraum erst schafft, in dem der Tanz den
Gesang frei begleiten kann.

"Zwei in einem"

Weder dem Sänger noch der Tänzerin aber gehört der Abend, der im Spiel eine provisorische Einheit findet.
Zwei große Soli für Akkordeon weisen den zuhörenden Betrachter darauf hin, welche lenkende Rolle dabei die
Musik übernimmt. Britta Wodarczak schafft mit ihrem verwandelnden Spiel eine Distanz, die Tänzerin und
Sänger vor wechselseitiger Verletzung schützt. Ein Zusammenspiel kommt dabei zustande, das seinen
Höhepunkt in der Interpretation eines Liedes von John Dowland findet ("Flow, my tears...").
Das Motto "Zwei in einem" enträtselt sich so, aber es hat durchaus auch tiefere Bedeutung. Die männliche
Stimme Thomas Bremsers mit ihrem weiblichen, Countertenor-spezifischen Ausdrucksspektrum kann gemeint
sein, ein Widerspruch der Erwartungen, auf den auch das gleichsam ‚ungeschminkte’ Auftreten Bettina Rutschs
sich bezieht. Im Duo von Tänzerin und Akkordeonistin (‚Adios’) ist ihr Tanz automatenhaft; im Zusammenspiel
entsteht ein imaginärer Raum im Sinne E.T.A. Hoffmanns, in dem die beiden Frauen sich begegnen.

RHEINISCHE POST Duisburg, 23. August 2000

 

"Zwei in Einem" – Lieder von Liebe, Tod und Liebe

"Ich hab im Träumen geweinet"

Liebe und Leid – als ob sie untrennbar zusammengehörten: so schien es am Sonntag in der
kammermusikalischen Aufführung des Ensembles Zungenreden in der Wasserburg in Rindern. Die Interpreten
hatten musikalische und literarische Stücke vorwiegend zum Thema Liebe vom Mittelalter über Renaissance,
Barock, Romantik und Klassik bis zur Neuen Musik und Literatur zusammengetragen, und der Zuhörer und
–schauer badete in einem Meer von Wohl und Weh. Und das tat gut, denn trotz der Eindimensionalität des
Themas sorgte eine ausgefeilte Dramaturgie für Abwechslung und kombinierte die drei Elemente Stimme,
Instrument und Tanz so gelungen, dass es bis zum Schluss spannend blieb.
Über Texte von Heinrich Heine – "Ich hab im Traum geweinet" und Lieder von Georg Friedrich Händel – 
"Sweet Rose and Lily" und "Nur die Seufzer trösten mich" von Wolfgang Amadeus Mozart ging es zu Else
Lasker-Schüler und deren Lied vom steinernen Herzen bis zu den rätselhaften Versen von Ingeborg Bachmann.
Dabei vermochte die herrliche Stimme des Countertenors Thomas Bremser eine ganze Welt von Sehnsucht
in einen einzigen Namen zu legen: "Amarilli, mi amore". Die verhaltenen Gebärden der Tänzerin Bettina Rutsch
brachten die fremden Worte eines isländischen Liedes zum Klingen: "Oh, hätten wir uns nie gesehen." Und
Britta Wodarczaks perfektes Spiel auf dem Akkordeon, sowohl als Solistin, als auch als Begleitung, gab allem
den passenden Rahmen. Eindrucksvoll begann die Veranstaltung mit einem Solo, das fast ausschließlich mit
dem Balg gespielt zu sein schien: ein langgezogenes Rauschen wie von Wind und Wasser erfüllte den sakralen
Kapellenraum. Es gab Tangomelodien, wie man es vom Akkordeon erwartet, aber auch neuere Kompositionen,
die die gefühlvolle Atmosphäre etwas abkühlten, oder sie, im Gegenteil, erst recht steigerten. Ohne die
"Phantasie" von Jürgen Ganzer hätte das "Ach, ach, ach..." in dem "Lamento" von Johann Christoph Bach
sicher keinen so starken Eindruck gemacht. Eindruck machte hier allerdings auch der scheinbar das Innen
nach außen wendende Tanz von Bettina Rutsch. Mehrfach fiel die gänzliche Übereinstimmung zwischen
Instrument und Stimme auf, dann wieder war die Auflockerung durch die Körpersprache, die ein Stück
Theater in die Kammermusik brachte, willkommen.
Zum Schluss wollte das Publikum die drei professionellen Interpreten (die RP berichtete) nicht gehen lassen.
Es gab stehende Ovationen und zwei Zugaben.

RHEINISCHE POST Kleve, 9. Mai 2001

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Ein getanztes Leben aus dem alten Island

Die Saga von Grettir dem Starken

Hinreißend, faszinierend, sinnlich und intellektuell zugleich, mit sparsamen, symbolträchtigen
Requisiten – Stab, Stein, rote Stola – vor allem aber mit ihrem Körper und ihrer Stimme brachte
Bettina Rutsch die altisländische Saga von Grettir dem Starken am 5. und 6. Juni 2001 auf die Bühne
des Theaters "Fletch Bizzel". Zur Veranstaltung hatte die Deutsch-Isländische Gesellschaft eingeladen.

Jakob Levy Moreno formulierte zur Zeit Freuds in Wien das sog. "soziogenetische Gesetz". Es besagt, dass ein
Individuum in Gruppen isoliert wird, wenn es sozial, emotional, intellektuell und/oder physisch ausdifferenzierter,
stärker ist als die übrigen Gruppenmitglieder. Dieses Gesetz affektiver Gruppenstruktur funktionierte offenbar
schon im Mittelalter. Denn die teils historische, teils sagenhafte Gestalt des Dichters Grettir war diesem
Mechanismus von Jugend an ausgesetzt: Eine Strafe von drei Jahren Landesverweis muss er schon im Alter
von 14 Jahren hinnehmen. Er reist nach Norwegen und zeichnet sich dort durch große Heldentaten aus.
Einschneidendes Ereignis in seinem Leben wird die Begegnung mit einem umgehenden Toten, einem
Wiedergänger. Grettir überwindet ihn zwar im Kampf, doch der Wiedergänger belegt ihn mit einem Fluch:
Alle Taten sollen ihm von nun an zum Unglück ausgehen, z.B. holt er aus Hilfsbereitschaft für Schiffbrüchige
Feuer. Das Haus, aus dem er es geholt hat, brennt jedoch am nächsten Tag ab, und Grettir wird mit der
Verleumdung belohnt, er sei der Brandstifter gewesen. Eine Prophezeiung des Wiedergängers traumatisiert
den Helden vollends: Grettir würde fortan weder Alleinsein, noch Dunkelheit ertragen können und immerfort
die Augen des Toten sehen müssen. Tatsächlich führt Grettir von nun an im Bergland ein ruheloses
Geächtetenleben und kann kaum die Furcht vor dem Alleinsein und der Dunkelheit bezähmen. Nur in seinen
Kämpfen mit Riesen und Berserkern ist ihm auch weiterhin Glück beschieden. Zuletzt verschanzt er sich auf
eine nur mit Leitern ersteigbaren Insel. Durch eine schwere Krankheit, die ihm seine Feinde bringen, und die
Unachtsamkeit eines Knechtes, der die Leitern nicht genügend bewacht, kommt Grettir, der geschwächte
Starke, - seinen Feinden ausgesetzt – um.

Überragende körperliche Ausstattung und Klugheit, Unangepasstheit von Jugend an, Furchtlosigkeit
in waghalsigen Situationen, Einsatz auch für Andere, Angstmacher, Ächter, Isolation, Verrat, Tod –
Stationen eines ebenso starken wie intelligenten Heldenlebens, das auch für uns im 21. Jahrhundert
lebende Menschen Identifikationsfigur sein kann?

Freilich gibt es auch heute Geschlechterkämpfe, strukturelle Gewalt und Mobbing in Institutionen, Ausgrenzung
von Einzelgängern, Unbequemen, Überlegenen, Querdenkern, Fremden, denn all diese Merkmale des
Ungeheuerlichen, Unheimlichen, Befremdenden, Vereinzelten finden sich – abgespalten, abgelehnt und
unbewusst – in jedem von uns – mehr oder weniger. Wohl gibt es auch heute noch zwanghaft geschlossene
Systeme, fundamentalistische Ideologien und Ideologen, deren einzig vorstellbare Methode der Konfliktlösung
Machtkampf und Krieg ist. Gewiss bleiben auch heute die Grundwidersprüche der menschlichen Existenz
unaufgelöst, die Tatsache z.B., dass jeder zugleich allein und nicht allein auf der Welt ist und dass das Leben
begrenzt ist – trotz aller Möglichkeiten der Grenzüberschreitung. Vielleicht aber sind wir nicht mehr so
ausgesetzt, so schicksalsgläubig wie in der Antike und im Mittelalter: Es muss nicht kommen, wie es soll,
es kann auch kommen, wie man/frau es will. Jedenfalls hätten wir seit Aufklärung, Psychoanalyse und
Existenzphilosophie die Möglichkeit, die Mechanismen der Angstmacher, Verflucher, der krankmachenden
Unholde zu durchschauen, wenn wir nur den Mut hätten, uns unseres Verstandes zu bedienen. Kant:
"Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist
das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese
Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern am Mangel des Mutes
liegt, sich seiner zu bedienen." Sartre: "denn man ist ja nicht nur das, was aus einem gemacht wurde,
sondern das, was man aus dem macht, was aus einem gemacht wurde."

Dr. Bettina Rutsch, die Tänzerin, Lyrikerin, Dramaturgin und Literaturwissenschaftlerin, hat jedenfalls
auf eindrucksvolle Weise gezeigt, dass intelligente und starke Helden, die systematisch geschwächt werden,
nicht nur Männer sein müssen, sonst hätte sie als Frau diese Rolle nicht so überzeugend spielen können: Ihre
beinahe wilde Natürlichkeit wird durch bis in die Zehen- und Fingerspitzen disziplinierte
Ausdruckstanzbewegungen ins Gleichgewicht gebracht. Bettina Rutsch hat fast nichts, auf das sie sich
zurückziehen könnte – nur ihren Körper, ihre Mimik, ihre Bewegungen, ihren Tanz und den meterlangen,
blutroten Stoff, mit dem sie akrobatische Ein- und Entwickelspiele vorführt. – Metapher für die Sehnsucht des
Helden nach Liebe oder für die vielfältig verwickelten Liebesspiele, die die Interpretin – nicht der Text – dem
Leben ihres tragischen Helden unterstellt. Am Ende entpuppt sich der Inhalt des Liebestuchs als Stein.
In welchen Ausprägungen kommen Lust und Liebe sonst noch vor in diesem Heldenleben? Zum einen als Mutter-
Vaterliebe, zum anderen in der Gestalt einer zuerst lockenden, dann lachenden Hexe, die man als
angstbesetzte, männliche Projektion der Überlieferung begreifen muss, weil Hexen weise Frauen sind, die mehr
wissen, als Männern lieb ist. Schließlich kommt sie – die Liebe – vor im Symbol des Feuers, das in der
Lebensgeschichte Grettirs nicht Wärme, nicht Licht, sondern Tod bedeutet. Und um einen anderen Preis als
den der kleinen und großen Tode ist die Liebe ja auch wohl nicht zu haben. "... und so lang du das nicht hast –
dieses Stirb und Werde, bist du nur ein trüber Gast auf der dunklen Erde" (Goethe). Die Liebesgeschichte, die
der Rächer des Mörders des Grettir im Orient (!) erlebt, wurde auf der Bühne nicht mehr gezeigt.
Nicht leichthin, nicht leichtsinnig sind die Bilder der Lebensstationen des starken Grettir, sondern archaisch-
ernst, puristisch-streng, von den ehernen Gestzen des Schicksals geprägt. Ihnen entsprechen der Einsatz von
Dunkelheit und Licht und die die Tänzerin begleitende, unterstützende, verstärkende Musik, die fasziniert und
an die Lava-Wüsten Lanzarotes erinnert, auch an die Officium-Musik vom Saxophonisten Jan Garbarek mit dem
Hilliard-Ensemble, die Erinnerung an isländische Urlandschaften sein will als Metapher für das Verstummen der
Menschlichkeit.
Ein sagenhafter Abend, der seine besondere künstlerische Qualität in den "Leerstellen" des Textes hatte.
Damit meine ich jene Möglichkeiten, die ein Text und seine Umsetzung auf der Bühne den Fragen, Projektionen,
Identifikationen seiner Zuschauer lässt. Erst alles zusammen – die überlieferte Saga, ihre Darstellung auf der
Bühne und die Interpretation der Zuschauer machte den Abend zu einem Kunstwerk, das die Frage stellte, ob
ein Leben schon deshalb erzählenswert ist, weil es als Kunstwerk auf die Bühne gebracht wurde, oder ob es
nicht selbst – dieses erzählte Leben – ein Kunstwerk gewesen sein muss, um erzählenswert zu sein?

BRÜCKEN. MAGAZIN DER AUSLANDSGESELLSCHAFT NRW, Dortmund, November 2002